Insa Härtel

Das, ein, nicht-eins

„Wir sind das Volk“ als politisch schlagkräftiger Wende-Slogan hat bereits innerhalb der jüngeren deutschen Geschichte selbst Wendungen vollzogen und inzwischen auch in Satire oder Kunst seinen Platz. Dabei ist der Sinn einer Losung, ja jedes Zeichens, nicht einfach gegeben, sondern bildet sich – stets beweglich, umkämpft – erst in kulturellen Differenzierungsprozessen. Begriffe wie „Freiheit“, „Nation“ oder „Volk“ fungieren dann als sogenannte leere Signifikanten, die ein gesellschaftliches Feld totalisieren, gerade indem ihre Bedeutung derart unbestimmt bleibt, dass sie mit unterschiedlichen Gehalten gefüllt werden kann.

Im Kontext der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989 lässt sich „Wir sind das Volk“ – wenngleich nicht vor Idealisierungen gefeit – als Geste einer Politisierung verstehen: Bislang Unterprivilegierte, Ausgeschlossene deklarieren sich als Vertreter des Allgemeinen, womit sie gesellschaftliche Beziehungsordnungen destabilisieren (vgl. Žižek 2001). „Wir sind ein Volk“ hat dann, unabhängig von seinem „Ursprung“, die Implikationen des Slogans radikal verändert; mit dem Effekt, die politische Öffnung wieder zu schließen. Heilsversprechen sind hierbei inklusive: als Traum einer Einheit, vor dem Hintergrund gemeinsamer historischer Schuld, deutsche Größenvorstellungen erneut aktualisierend (vgl. Becker & Becker 1991). Dass auf diese Art nur unter Abwehr der inhärenten Unmöglichkeit (Žižek) jeder einheitlichen Gemeinschaft „geträumt“ werden kann, macht spätestens die Inanspruchnahme von „Wir sind das Volk“ durch PEGIDA, AfD & Co überaus deutlich. Etwa im Besessensein von Flüchtlingen, welche imaginiert das beanspruchte „Wir“ gefährden, kehrt eine verworfene „Verheißungs“-Kehrseite wieder.

Sodass sich die Selbstdeklaration etwa als „Volk“ auch daran entscheidet, welcher Umgang mit jener Unmöglichkeit sich in den jeweiligen, emanzipatorischen bis völkischen, Forderungen artikuliert. Für das Anliegen alternativer Begegnungen und Verständigungsformen, wie es das vorliegende Projekt formuliert, kann das wiederum heißen, auch mögliche eigene Wünsche eines spannungs- oder „störungsfreien“ Austauschs gegen den Strich zu lesen, und sei es im Sinne eines in sich „Nicht eins“-Seins (Irigaray), „pas-tout“ (Lacan).


Insa Härtel, geb. 1968 lehrt Kulturwissenschaft an der International Psychoanalytic University in Berlin. Sie beschäftigt sich mit Heilsversprechen als gesellschaftlich wirkmächtigen Inszenierungen und fragt dabei nach ihren phantasmatischen Gehalten. Weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit sind u.a. psychoanalytische Kunst- und Kulturtheorie, sowie Geschlechter- und Sexualitätsforschung.