Felix Ringel

Überholen ohne Einzuholen:
Die Wende auf der postindustriellen Überholspur

Bananenwitze gehen eigentlich immer. Der beste ist noch immer der vom Titanic-Cover aus dem Monat des Mauerfalls: Eine junge Ostdeutsche hält eine wie eine Banane geschälte Gurke in der Hand. Darunter steht: Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD): „Meine erste Banane“. Herrlich. In dieser Zeit muss auch ich meine erste Banane gegessen haben. Was sonst hätten wir vom Begrüßungsgeld kaufen sollen?

Jahre später, als die Bananenwitze oft nicht mehr gelingen sollten, habe ich meine Forschung in Hoyerswerda begonnen. In Hoyerswerda, einem anderen Sinnbild der Wiedervereinigungsverwerfungen, waren Bananen damals kein Thema mehr. Man hatte andere Probleme. 20 Jahre nach dem Mauerfall war die einst zweite sozialistische Modellstadt zur am schnellsten schrumpfenden Stadt Deutschlands geworden. Ihre Bevölkerung hatte sich in nur zwei Jahrzehnten mehr als halbiert. Mit dem Verlust von Arbeitsplätzen in der Kohle waren vor allem die jungen Menschen gen Westen gezogen, „Der Arbeit hinterher“. Gerhard Gundermann, auch ein Hoyerswerdaer Kohlekumpel, hat diese Umbrüche am eindrucksvollsten besungen. Die Folge: Leere Wohnungen, gebrochene Biographien und dann ein wohl historisch einzigartiger „Rückbau“ intakter städtischer Infrastruktur.

Doch Hoyerswerda war kein Einzelfall. Wolfgang Engler und Wolfgang Kil haben diese Folgen der Deindustrialisierung der ehemaligen DDR als das Ende der arbeiterlichen Gesellschaft und der industriellen Moderne beschrieben. Über Nacht war die Zeit des Postindustrialismus angebrochen. Erst in den letzten Jahren ist dieser Prozess mit dem Wirken der Treuhand und der im Nachhinein fast naiv anmutenden Ausgestaltung der Wiedervereinigung verknüpft worden.

Wieder ein paar Jahre später hat es meine Forschungen nach Bremerhaven verschlagen, dem Ort in Deutschland, wo noch heute Bananen angeliefert und – oh Wunder! – auch erst hier gelb gemacht werden. Eine andere postindustrielle Stadt. Deutschlands ärmste und einst Westdeutschlands am schnellsten schrumpfende Stadt. Sozusagen das Hoyerswerda des Westens. Auch dort habe ich erforscht, wie Menschen eine postindustrielle Zukunft schaffen und wie sie sich alleingelassen fühlen mit den Problemen der postindustriellen Ära.

Diese Ära hatte in Bremerhaven schon in den 70er Jahren, lange vor der Wiedervereinigung begonnen, war dann durch diese aber nochmal beschleunigt worden. Irgendwie hängt halt alles zusammen. Doch nun ergibt sich die Frage: Hat es Bremerhaven mit seinem langen, doch im letztlich nicht weniger dramatischen Wandel besser getroffen als Hoyerswerda, wo sich dieselben Prozesse in viel kürzerer Zeit ereigneten? Ist der langsame Verfall dem schnellen Kollaps vorzuziehen? Und wann werden endlich von uns allen nachhaltige Antworten auf die Frage nach der detaillierten Ausgestaltung der postindustriellen Zukunft gefunden?


Felix Ringel, geb. 1981 ist Anthropologe und hat sich intensiv mit dem Wandel ostdeutscher Städte nach der politischen Wende beschäftigt und dabei Feldstudien in Hoyerswerda durchgeführt. Er arbeitet zur Zeit an der Durham University an einer Studie über städtische Transformationsprozesse in postindustriellen Städten hin zu urbaner Nachhaltigkeit am Beispiel Bremerhavens.