Bettina Paust

Die Schaulust am Elefanten

Mit der Gründung der ersten Zoologischen Gärten im 19. Jhd. und den florierenden privaten Menagerien, in denen vor allem exotische Tiere ausgestellt wurden, sowie den umherziehenden Zirkusunternehmen tauchen verstärkt Elefanten in Europa auf. Diese in Gefangenschaft gehaltenen Tiere bedienten die Schaulust am Exotischen. In dieser Zeit häufen sich auch die Katastrophen mit Elefanten, etwa die Elefantenkuh „Topsy“ aus dem Vergnügungspark Coney Island in der Nähe von New York, die 1903 mit elektrischem Strom öffentlich hingerichtet wurde, nachdem sie mehrere Menschen „getötet“ hatte. Die Vermenschlichung von Elefanten, wenn sie im Zirkus Seil- oder Radartistik vorführen, und ihre nicht artgerechte Haltung verdeutlichen einerseits die Domestizierungsfähigkeit der Tiere und offenbaren andererseits ihre Versuche, sich den ihnen auferlegten Zwängen zu entziehen.

So auch die vierjährige asiatische Elefantenkuh „Tuffi“, die zu Werbezwecken des Zirkus Althoff 1950 als Fahrgast die Wuppertaler Schwebebahn betreten musste. Der Wagon war überfüllt mit Journalisten, die über das sensationelle Ereignis berichten wollten. Nachdem der kleine Elefant auf das Quietschen der Bahn in einer Kurve nervös reagierte, brach Panik unter den Mitfahrenden aus. „Tuffi“ entkam der sie einengenden und beängstigenden Situation durch einen Sprung aus dem Wagon in die Wupper, den sie mit nur wenigen Schrammen überlebte. Seitdem ist sie ein werbewirksames Wahrzeichen der Stadt, verewigt in zahlreichen Merchandisingprodukten. Auch „Topsy“ aus Coney Island fand in der Mehrkanal-Video-Installation Play Dead: Real Time des schottischen Künstlers Douglas Gordon 2003 ihr künstlerisches Denkmal. In Echtzeit lässt der Künstler die dressierte Elefantenkuh „Minnie“ das Sterben eines Elefanten in Erinnerung an das historische Ereignis nachspielen. Eindrucksvoll verdichten sich in dieser Arbeit die enge kulturgeschichtliche Verbindung zwischen Mensch und Elefant sowie jene intensiven Affekte, die der Schaulust am Elefanten seit Jahrtausenden innewohnen.

Die Mensch-Tier-Beziehung ist heute ein brisantes Thema. Die zeitgenössische Kunst als Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen hat sich schon längst dieser Thematik angenommen. Künstler:innen, wie Berlinde de Bryckere, Carsten Höller, Pierre Huyghe, Kira O‘Reilly oder Maja Smrekar – um nur einige wenige zu nennen – arbeiten mit lebenden und toten Tieren und thematisieren in ihren Werken den aktuellen Paradigmenwechsel im Mensch-Tier-Verhältnis.


Bettina Paust, geb. 1962 in Berlin ist Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin. Sie war Künstlerische Direktorin und Leiterin des Joseph Beuys Archivs der Stiftung Museum Schloss Moyland und führt seit 2018 das Kulturbüro der Stadt Wuppertal. 2019 erschien der von ihr mit herausgegebene Sammelband Das ausgestellte Tier, der sich mit lebenden und toten Tieren in der zeitgenössischen Kunst beschäftigt.