Bananen für Wuppertal, Sebastian Jungs mutimediales Kunstprojekt, entstand aus der Idee, den Blick auf die Ereignisse von 1989/1990 umzukehren. Für ein solches Projekt, in dem es um Strukturwandel und die Entwicklung von ihm betroffener Städte aus ostdeutscher Perspektive gehen sollte, war es mir wichtig, einen „Ossi“ in den Westen zu holen, um hier seine Erfahrungen einzubringen. Selbst in Hoyerswerda geboren und aufgewachsen lud ich Sebastian Jung nach Wuppertal ein, wo ich seit 14 Jahren lebe, um hier zu beobachten, wie der Strukturwandel einer westdeutschen Stadt zugesetzt hat. Jung sollte ein Kunstprojekt aus der Position eines ostdeutschen „Entwicklungshelfers“ durchführen. Gerade wir Ostdeutschen haben in den letzten dreißig Jahren einen Erfahrungsvorsprung erworben, was den Umgang mit biographischen Brüchen, Transformation und der Veränderung des Lebensraums Stadt angeht, die inzwischen nicht mehr nur im Osten drängende Probleme darstellen. Der in den neunziger Jahren mit Bananen aus dem Westen satt gefütterte Ossi sollte nun also etwas zurückgeben und die Bananen symbolisch wieder in den Westen bringen, wo sie jetzt dringender als früher gebraucht werden.
In Wuppertal jährte sich dieses Jahr nicht nur die Wiedervereinigung zu einem runden Jubiläum, sondern auch der legendäre Sprung der jungen Elefantin Tuffi, mit der das Tier vor siebzig Jahren zur Patronin der Stadt wurde. In Jungs Intervention treffen beide Großereignisse aufeinander und der ostdeutsche Entwicklungshelfer steht im Westen einem kleinen, mittlerweile etwas verlassen wirkenden Elefanten gegenüber, den er mit seinen Bananen aufpäppeln will.
Der Ort dieser Begegnung, an dem die Blickumkehr versucht werden sollte, war ein Einkaufszentrum. Passagen, Center und Galerien gehörten in Ostdeutschland zu den Neuerungen im Stadtbild, mit denen die Menschen in den neunziger Jahren umgehen mussten. Diese Malls entstanden in großer Zahl ab der Mitte des Jahrzehnts und widersprachen in vielen Städten planerisch oft einem bereits deutlich zu erkennenden Bevölkerungsschwund. In den folgenden Jahren wurden sie damit zu Zeichen für das manifeste Paradox, in dem die Ostdeutschen sich zurechtzufinden hatten. Einer von außen eingeführten kapitalistischen Oberfläche widersprachen sehr klar die mentalen Verhältnisse in der Ex-DDR. Desorientierung war vielfach die Folge. In einem einst vornehmen Einkaufszentrum in der Innenstadt von Wuppertal, dessen Glanz inzwischen etwas verblasst ist, geht Sebastian Jung dieser Erfahrung nach. Er interveniert im Leerstand und den Geschäften der Wuppertaler Rathaus Galerie mit Zeichnungen und Malereien von Elefanten aus dem Leipziger Zoo und stellt dabei die grundsätzliche Frage nach gesellschaftlichen Blickregimen: wer sieht wen auf welche Weise an? Und welche Möglichkeiten mag es geben, die Blickrichtung umzukehren? Großformatige, auf gelbe PVC-Banner gedruckte Elefanten schauen aus den leerstehenden Geschäften auf die sie betrachtenden Passant:innen und fordern dazu auf, den Ort ihres Gastspiels zu befragen. Zeichnungen und Zitate von Besucher:innen des Zoos beim Betrachten der Elefanten, die auch von den Gästen des Einkaufszentrums beim Sehen gesehen werden, verlängern die Frage weiter zu einer generellen Reflexion über Schauen, Zurückschauen und Gesehenwerden, insgesamt: über Sichtbarkeit.
In einem Think Tank, der diese multimediale Ausstellung eröffnet, haben sich zwölf Menschen versammelt und geben in pointierter Form Einblicke in ihr Denken zur Lage der Dinge. Sie bieten dabei außerdem Wege an, ausgehend von ihren und den Fragen, die Bananen für Wuppertal stellt, weiter zu lernen. Dabei erschließt sich das Spektrum, das es zu überschauen gilt und es zeigt sich, dass die gesellschaftlichen Herausforderungen, denen das Projekt aus ostdeutscher Perspektive nachgegangen ist, von gesamtdeutscher, europäischer und globaler Tragweite sind. Die Recherche setzt sich fort mit dem subjektiven Blick eines nach Wuppertal versetzten kleinen Elefanten aus Ostdeutschland, der auch dort nicht „zu Hause“ war und nun unfreiwillig und ohne zu wissen, wie ihm geschieht, in einem westdeutschen Einkaufszentrum wohnt. Hier stellt Sebastian Jung die Frage nach der Kontingenz biographischer Erfahrung in Bezug auf historische Verhältnisse, denn auch in der Stadt, die sich selbst einen Elefanten, der vor siebzig Jahren aus der weltberühmten Schwebebahn sprang, zum Maskottchen gewählt hat, sorgt der kleine Gast für Irritationen bei den Besucher:innen. Sie freuen sich, haben aber auch eigene Probleme. Und am liebsten scheint es ihnen, wenn der Elefant im Raum still seine Bananen futtert.
Alexander Wagner, Kurator