Christian Boros

Kreative Komplizen

Leerstand ist Stillstand ist Missstand ist Notstand, jedenfalls in der kapitalistischen Verwertungslogik. Und aus dem Notstand erwächst die Notwendigkeit, etwas zu tun. Ein Leerstand in einem Einkaufszentrum macht eine solche Notwendigkeit sichtbar. Ein Raum ist seiner Funktion als Ort des Konsums beraubt. In Wuppertal und anderen Städten summiert sich der Leerstand zu einem Problem, und auch wenn es schon fast ein Klischee ist: Gerade diese Leer- und Notstände eröffnen eben die Chance, etwas Neues zu schaffen. In Wohlfühlwelten besteht keine Notwendigkeit dafür. Und auf einmal werden dann Dinge möglich, die zuvor undenkbar waren. Künstler:innen haben schon oft solche Notstände erkannt, Orte für sich besetzt und transformiert.

Das Konzept der künstlerischen Zwischennutzung ist allerdings bereits zu einem beliebten Instrument der Immobilienwirtschaft geworden, um auf Leerstände hinzuweisen, sie mit neuem Leben zu füllen, wieder vermarktbar zu machen und anschließend zu einem Status Quo ante zurückzukehren, als wäre nichts gewesen. Wenn Künstler:innen dafür eingespannt und bezahlt werden, dann ist erst einmal nichts dagegen zu sagen. Doch dabei verkennt man die wahre Qualität, die einzigartige Sonderbegabung von Künstler:innen: Ihr Antrieb ist keine ökonomische Notwendigkeit, sondern vielmehr eine innere: Sie wollen aus sich heraus etwas Neues schaffen – und geben in der Regel sich selbst dafür den Auftrag. Sie können viel mehr, als nur temporär einen Raum künstlerisch zu bespielen: Sie können Räume, Konzepte und Systeme ganz neu denken. Es wäre zu wünschen, dass man Künstler:innen nicht einfach nur als kreative Durchlauferhitzer nutzt, um Leerstand anschließend wieder vermarkten zu können, idealerweise zu höheren Preisen. Vielmehr sollte man Künstler:innen, aber auch Designer:innen und andere kreative Köpfe zu Komplizen der Immobilien- und Stadtentwicklung machen – mit dem Ziel, ganz neue Konzepte des urbanen Lebens zu entwickeln, von denen dann alle profitieren, nicht nur die Cleverles unserer Welt.

Wuppertal bietet einen guten Nährboden hierfür – mit seiner langen Tradition in Design und Kunst, mit seinen vielen kreativen Köpfen, die hier und heute etwas grundlegend verändern wollen, aber eben auch mit dem Leer-, Still-, Miss- und Notstand, den es hier gibt.

Christian Boros, geb. 1964 ist Designer, Medienunternehmer und Kunstsammler. Er hat in Wuppertal studiert und leitet dort und in Berlin seine Agentur für Kommunikation. Neben zahlreichen Positionen im Kulturbetrieb ist er außerdem Gründer des Distanz Verlags und verfügt über eine große, öffentlich zugängliche Kunstsammlung.